Michal Dubnicky Malerei
08.-28.04.2017
Vernissage Fr 7. April 2017
Die Kraft der Linien
In seiner kunstgewerblichen Laienpredigt aus dem Jahr 1890, die 1902 im Inselverlag auf deutsch erschien, formulierte der vielseitige flämisch-belgische Künstler Henry van de Velde folgende Passage:
»Eine Linie ist eine Kraft, die ähnlich wie alle elementaren Kräfte tätig ist; [...] sie entlehnt ihre Kraft der Energie dessen, der sie gezogen hat. Diese Kraft und diese Energie wirken auf den Mechanismus des Auges in der Weise, dass sie ihm – dem Auge – Richtungen aufzwingen. Diese Richtungen ergänzen sich, verschmelzen untereinander und bilden schließlich bestimmte Formen.“
Seinen Gemälden nach zu urteilen, verfügt der tschechische Maler Michal Dubnický über ausgesprochen viel (künstlerische) Energie:
Sowohl seine abstrakten Gemälde wie auch seine gegenständlichen Arbeiten zeichnet eine entschlossene Farbgebung sowie eine kraftvolle Linienführung aus. Die geometrischen Gebilde, die sich aus diesen Linien ergeben, formieren sich zu Landschaften, zu Wegen und Portalen, die nicht mit der Leinwand enden, sondern aus den Bildern hinaus (zum Beispiel Stairway to Heaven, 2014) oder noch tiefer in diese hinein führen (zum Beispiel Strahl, 2015).
Einige Acrylgemälde von Michal Dubnický sind vom Informel inspiriert, einem Stil, der sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa herausbildete, und der unter anderem durch eine – bisweilen radikal-dekonstruktive – Auseinandersetzung mit Struktur und Farbtextur geprägt ist. In Tschechien gehören Václav Hejna, Mikuláš Medek und Vladimír Boudník zu den bekanntesten Vetretern. Wie diese arbeitet Michal Dubnický mit verschiedenen Strukturen und Schichten und wendet Ritzungen und ähnlichen Techniken an.
Formal gibt es bei seinen Arbeiten Parallelen zu einer weiteren Kunströmung, dem abstrakten Expressionismus, konkret zur Farbfeldmalerei, die insbesondere durch Kunstschaffende wie Mark Rothko, Barnett Newman, Clyfford Still und Helen Frankenthaler geprägt wurde. Auch Michal Dubnický kreiert flächige Landschaften aus Farbfeldern – doch finden sich unter seinen Arbeiten auch Portraits realer Landschaften, wie zum Beispiel Aggstein (2017). Dieses Gemälde ist nicht das einzige, das einen Bezug zur Wachau aufweist:
Die Einladungskarte und das Umschlag des vorliegenden Ausstellungsbegleiters ziert die Arbeit Marillengarten (2016), die der berühmten Wachauer Marille ein Denkmal setzt.
Im Zentrum des Gemäldes ist ein Marillenkern zu sehen, wie man ihn vergoldet auch bei der 1. Wachauer Destillerie Bailoni als Anhänger erwerben kann. Michal Dubnickýs gemalter Kern ist jedoch ein Hochkaräter ganz eigener Art: Extrem überdimensional ist er größer als all die Bäume, die er durch eine nabelschnurartige Linie mit seiner Kernergie speist. In diesem Bild manifestiert sich die Kraft der von Michal Dubnický geschaffenen Linien somit besonders deutlich.
Dr. Barbara Margarethe Eggert, Donau-Universität Krems, Department für Kunst- und Kulturwissenschaften.